Metapher des Monats: Das Rabattmarkenkleben

Seit 2021 bin ich Teil eines Vereins, der eine kleine Montessori-Schule betreibt. Das ist ein spannender kleiner Mikrokosmos und die Dynamiken in den unterschiedlichsten Konstellationen zwischen den Kindern, Lehrerinnen, Eltern und anderen Beteiligten haben es seitdem nie langweilig werden lassen.

Zuletzt beschäftigt mich dabei sehr die Frage, wann und wie Eltern Probleme ansprechen, von denen ihre Kinder zu Hause berichten.

Sag ich was, oder lieber nicht?

Auf der einen Seite kann es die Zeit und Aufmerksamkeit der Lehrpersonen übermäßig in Anspruch nehmen, nach Unterrichtsende ständig wegen aller möglichen „Kleinigkeiten“ angesprochen zu werden und dann die scheu gemachten Pferde wieder einfangen zu müssen. (A propos Arbeit mit Metaphern: was macht man eigentlich mit scheuen Pferden?).

Das andere Extrem ist aber auch nicht wünschenswert. Es wird über einen gewissen Zeitraum gar nichts angesprochen, sondern gesammelt. Wenn es dann irgendwann zu viel geworden ist und das Fass am Überlaufen ist, kommt es zum großen Knall. Die angesprochenen Probleme sind dann deutlich schwerer und nicht mehr zeitnah zu deren Auftreten zu bearbeiten.

Ein Bild, das klebt: die Rabattmarke

Mir ist dazu die Metapher des „Rabattmarkenklebens“ eingefallen. Ich habe davon in einem Vortrag von Tom Hansmann im Jahr 2015 zu „systemischen Ausgleichsprinzipien“1 gehört. Was für ein schönes Beispiel, wie eine treffende Bildsprache beitragen kann, sich an Dinge zu erinnern. Wie in ein Rabattmarkenheft, kleben wir bei (kalten) Konflikten unsere negativen Erlebnisse Stück für Stück ein. Und wenn es voll ist, „lösen“ wir es ein.

Zeit für mich, mich auch an die eigene Nase zu fassen. Als stark introvertierte Person neige ich nicht dazu, Dinge schnell und offen anzusprechen und genieße den hitzigen verbalen Austausch von Argumenten, Positionen und Interessen nicht2. Dinge mit mir selbst auszumachen, finde ich deutlich angenehmer. Das Rabattmarkenheft ist mir daher eine wichtige Mahnung, dass dieses Verhalten zu schädlichen Konsequenzen führen kann.

Was mache ich nun damit?

Ich spinne die Metapher weiter. Dieses tatsächliche Rabattmarkenheft, dass ich zu lange mit mir im Portemonnaie herumgetragen habe, hilft mir dabei:

  • Betragsgrenzen: Es gibt erst ab einem bestimmten Mindesteinkaufswert eine Rabattmarkte. Für Einkäufe unter 10,- EUR gibt es nichts. Bagatellen dürfen daher auch direkt abgehakt werden. Hier hilft sicherlich eine achtsame Haltung des „Loslassens“. Aufzupassen gilt es auf kognitive Verzerrungen. Habe ich schon eine negative Grundhaltung gegenüber einer Person entwickelt, so dass sich meine „Bagatellgrenze“ verschoben hat und auch Kleinigkeiten, die ich anderen Personen locker durchgehen lassen würde, in diesem Fall übel aufstoßen?
  • Ablaufdatum: Zu meinem großen Ärger musste ich feststellen, dass ich nur 9 Tage Zeit hatte, meinen Rabatt einzulösen. Den Einlösezeitraum habe ich glatt verpasst. Also wirklich: Dinge zeitnah ansprechen und nicht, wenn sie „verjährt“ sind. Hier hilft mir, dass ich laut VIA-Charakterstärkentest3 ganz gut darin bin, zu vergeben. Aber auch das lässt sich angeblich üben.

So genug, metaphert. Ich gehe jetzt in einen anderen Supermarkt, meinen dortigen „Monatssparer“ einlösen.

Fußnoten
  1. Mehr zu systemischen Ausgleichsprinzipien und anderen hilfreichen, systemischen Miniaturen auf Tom Hansmanns Blog oder in seinem Buch: https://hansmann.at/das-buch-zum-blog/ ↩︎
  2. Paul Snyder trifft es in diesem humorigen Video sehr gut: https://www.youtube.com/watch?v=8DNQ8DYgCJE) ↩︎
  3. https://www.viacharacter.org/ ↩︎

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